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02921 501-03

Nordic Walking – Eine Feldstudie über den Mythos Gelenkentlastung

Thomas Jöllenbeck (1), Christian Grüneberg (2), Daniel Leyser (2), Claudia Classen (1), Melanie Mull (1)

  • (1) Klinik Lindenplatz, Institut für Biomechanik, Bad Sassendorf
  • (2) Europa Fachhochschule Fresenius, Fachbereich Gesundheit, Idstein

 

Einleitung

Nach Angaben des Deutschen Nordic Walking Verbandes betreiben in Deutschland derzeit ca. 2 Mio. Menschen die Sportart Nordic Walking (NW). Studien zu physiologischen Belastungsparametern beim NW zeigen im Vergleich zum Walken (W) positive gesundheitsbezogene physiologische Effekte wie z.B. erhöhte Sauerstoffaufnahme sowie erhöhten Kalorienverbrauch und erhöhte Herzfrequenz (u.a. Porcari et al., 1997; Church et al., 2002). Allerdings weisen Ergebnisse aus neueren Studien darauf hin, dass der physiologische Nutzen überschätzt wurde (Schiebl et al., 2003; Höltke et al., 2005). Ferner ist die bisher nicht wissenschaftlich belegte Meinung verbreitet, dass das Gehen mit Nordic-Walking Stöcken eine 30-50%‑ige Entlastung der Gelenke ermöglicht (vgl. z.B. Geyer 2005). Ziel der vorliegenden Studie war es daher, 1) den gesundheitlich-präventiven Bezug hinsichtlich der Gelenkentlastung durch NW im Vergleich zum Walken erstmalig in einer Feldstudie zu analysieren und 2) den Vergleich einer Entlastung oder Belastung bezogen auf unterschiedliche Streckenprofile aufzuzeigen.

 

Methode

Zu diesem Zweck wurden insgesamt 20 Probanden (Alter 51 ±9 Jahre; Körpergröße 1,71 ±0,08 m; Gewicht 72 ±14 kg), bestehend aus 14 erfahrenen Nordic-Walkern (mind. 12 Monate Nordic Walking Erfahrung, Praxis mind. 2 mal pro Woche mind. 1 Std.) und 6Nordic-Walking Instruktoren gebeten, einen 1575m langen Parcours mit unterschiedlichen Streckenprofilen jeweils einmal mit und einmal ohne Nordic-Walking-Stöcke in randomisierter Reihenfolge zu bewältigen (Abb. 1). Die unterschiedlichen Streckenprofile bestanden aus 2 Asphaltstrecken (jeweils 199,42m, geringe Steigung (Strecke 1) bzw. Gefälle (Strecke 4) von 1,05%, 2 Feldwegen (jeweils 155,42m, geringe Steigung (Strecke 2) bzw. Gefälle (Strecke 3) von 0,36%, einem moderaten Gefälle von 4,37% (55,33m, Strecke 5) und einer moderaten Steigung von 5,8% (104,98m, Strecke 6). Die Probanden wurden aufgefordert, die Sequenzen mit und ohne Nordic Walking Stöcke jeweils mit gleicher Geschwindigkeit zu bewältigen.

Abb. 1: Testparcour an der Klinik Lindenplatz, Bad Sassendorf, mit den unterschiedlichen Streckenprofilen Asphalt 1 (1), Feldweg 1 (2), Feldweg 2 (3), Asphalt 2 (4), Gefälle (5) und Steigung (6).

Alle Probanden haben während der Messungen einen Rucksack (2,5 kg) mit mobiler Messtechnik (Novel pedarX, Biovision) zur Erfassung und Speicherung der Daten sowie einen Brustgurt und eine Pulsuhr mit Speicherfunktion (Ciclo HAC 4) getragen. Die vertikalen Bodenreaktionskräfte wurden mit Fussdruckmesssohlen (Novel PedarX, 99 Sensoren pro Sohle, Frequenz 100 Hz) über den Druck pro Fläche bestimmt. Die Stockkräfte und der Neigungswinkel der Stöcke (Leki Supreme, Teleskopstock) wurden über Kraftaufnehmer und Inclinometer (Biovision, eingestellter Messbereich: ±500 N bzw. ±90°, Frequenz AD-Wandler 500 Hz) ermittelt, die knapp unterhalb des Stockgriffes in Richtung der Stockachse fest eingebaut waren (Gewicht nach Umbau je 0,45 kg). Bei jedem Proband erfolgte ein zusätzlicher Abgleich der Sohlenkräfte mit Hilfe einer Kistler Kraftmessplatte. Die Anfangs- und Endzeiten in den einzelnen Streckenabschnitten wurden per Funksignal (Biovision) erfasst. Mit Biovision-Messtechnik wurden zudem noch die Kniebeugung (Goniometer), die Oberschenkelneigung in Laufebene (Inclinometer) und die Beschleunigungen oberhalb des Kniegelenkes (Accelerometer) erfasst, auf die Ergebnisse wird in dieser Arbeit jedoch nicht eingegangen. Die Daten wurden auf zwei PDA’s (HP 5550, Speicherkarte 512 MB) erfasst und gespeichert. Die Messungen wurden über einen gemeinsamen Triggerschalter gestartet und beendet. Zur Gewährleistung der Datensynchronisation während der langen Messzeiträume von rund 20 Min. wurde das Taktsignal des Systems Novel pedarX zusätzlich auf das System Biovision übertragen und als separater Messkanal gespeichert. Insgesamt wurden die Daten von rd. 40.000 Schritten aufgezeichnet, mit eigens erstellter Software (VB 6.0) aufbereitet, zur weiteren Verarbeitung in Simi Motion (V 7.2) importiert und schließlich ca. 20.000 Schritte aus den relevanten Streckenabschnitten analysiert. Die Überprüfung der Daten mittels des Kolmogorov-Smirnov-Test ergab eine Normalverteilung des Datensatzes. Anschließend erfolgte die statistische Prüfung durch den T-Test für gepaarte Wahrnehmungen. Das Signifikanzniveau wurde auf p < 0.05 festgelegt. Alle statistischen Analysen erfolgten mit SPSS 12.0.

 

Ergebnisse

Interessanterweise zeigt die Analyse, dass die maximalen vertikalen Bodenreaktionskräfte während des Fussaufsatzes (140-170% Körpergewicht) beim Nordic Walking im Vergleich zum Walking nominell um rd. 3% höher ausfallen (Abb. 2a).

Abb. 2a: Vertikale Bodenreaktionskräfte (N=20) beim Nordic Walking im Vergleich zum Walking.

Dies ist für alle untersuchten Streckenprofile erkennbar (Abb. 2b), für die Aspaltstrecke 2 und jeweils für die Steigung (Strecke 5) und das Gefälle (Strecke 6) sind die Bodenreaktionskräfte bei Nordic Walking links sogar signifikant höher (Tab. 1). Der Vergleich der Impulse der vertikalen Bodenreaktionskräfte des linken und rechten Fußes (392-429 Ns) zeigt für keinen der untersuchten Streckenabschnitte signifikante Unterschiede.

Abb. 2b: Durchschnittliche vertikale Bodenreaktionskräfte (N=20) des linken und rechten Fußes beim Nordic Walking (schwarz) im Vergleich zum Walking (graue Linie) in den unterschiedlichen Streckenprofilen. Der Anfang des Gangzyklusses entspricht dem Fussaufsatz des linken Fusses. Die beiden unteren schwarzen Linien mit Maximalwerten von ca. 46N stellen in gleicher Dimension die Stockkräfte des rechten (Maximum bei ca. 10% Gangzyklus) und des linken Stockes (Maximum bei ca. 60% Gangzyklus) dar.

Tab. 1: Mittelwerte (Mw) und Standardabweichung (SD) der Bodenreaktionskräfte, Stockkräfte und Gangparameter bei Nordic Walking (NW) versus Walking (W) in den unterschiedlichen Streckenprofilen (N=20). Signifikante Unterschiede (p<.05) sind fett gesetzt.

Das Minimum der vertikalen Bodenreakionskraft in der mittleren Standphase ist beim Nordic Walking im Vergleich zum Walking für alle Streckenabschnitte signifikant geringer. Beim Fußabdruck unterscheidet sich die vertikale Bodenreaktionskraft beim Nordic Walking im Vergleich zum Walking in keinem der untersuchten Streckenabschnitte signifikant (Abb. 2, Tab. 1).

Abb. 3: Mittlere Stockkraft längs der Stockachse auf dem Asphaltweg 1 exemplarisch im Vergleich zu den Bodenreaktionskräften (oben: Bsp. Nordic Walking Instruktorin) und im Mittel (unten, N=20). Der Anfang des Gangzyklusses entspricht dem Fussaufsatz des linken Fusses (oben). Die Stockkraft rechts (unten, schwarz) erreicht ihr Maximum bei ca. 10%, die Stockkraft links (unten, gepunktet) bei ca. 60% des Gangzyklusses.

Die im Überblick in Abb. 2 und exemplarisch für die Asphaltstrecke (Strecke 1) in Abb. 3 dargestellten Stockkräfte zeigen über alle Streckenabschnitte im Mittel ein Maximum von 46 ±5 N in Richtung der Stockachse bei einem Aufsatzwinkel von 34,1 ±11,7° zur Vertikalen, von 37 ±5 N in vertikaler Richtung und von 26 ±2 N in horizontaler Richtung. Die berechneten Stockimpulse ergeben durchsschnittlich 12 N·s, entsprechend 2,6-3,6% des Impulses der vertikalen Bodenreaktionskräft der Beine (392-429 Ns, Tab. 1). Die Ganggeschwindigkeit ist beim Nordic Walking im Mittel um ca. 5,3% signifikant höher als beim Walking. Die Herzfrequenz ist beim Nordic Walking über alle Streckenprofile im Mittel 10 ±3 Schläge/Minute höher als beim Walking.

 

Diskussion

Ziel der vorliegenden Studie war, den gesundheitlich-präventiven Bezug hinsichtlich der Gelenkentlastung durch Nordic Walking im Vergleich zum Walking in unterschiedlichen Streckenprofilen in einer Feldstudie zu untersuchen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es weder in der Fußaufsatz- noch in der Fußabdrucksphase noch in den unterscheidllichen Streckenprofilen zu einer Verringerung der Bodenreaktionskräfte bei Nordic Walking im Vergleich zum Walking kommt. Insbesondere bei den maximalen Bodenreaktionskräften in der Fußaufsatzphase wurden eher erhöhte Bodenreaktionskräfte im Vergleich zum Walking gemessen. Eine mögliche Erklärung hierfür sind die etwas höheren Geschwindigkeiten beim Nordic Walking. Allerdings zeigen die Daten eindeutig, dass die verbreitete Meinung einer Gelenkentlastung durch Nordic-Walking von 30-50% als unhaltbar zurückzuweisen ist. Zumal vor dem Hintergrund, dass die hochdynamischen Bewegungen beim Walking oder Nordic Walking bereits um 20-40% höhere vertikale Bodenreaktionskräfte erzeugen als normales Gehen. Bedingt durch die Doppelkontaktphase im Schrittzyklus beim Nordic Walking ist eine deutliche Entlastung lediglich gegenüber dem Joggen festzustellen.

Die Bedeutung des Stockeinsatzes als entlastendes Element wird nach Lage der Daten erheblich überschätzt. Kräfte und Impulse der einseitig über den jeweiligen Gegenarm eingesetzten Stöcke sind viel zu gering, als dass sie einen deutlich entlastenden Beitrag leisten könnten. Hinzu kommt der Aufsatzwinkel der Stöcke, der die effektive Entlastung weiter reduziert. Es bleibt aber zu vermuten, dass der Stockeinsatz einen wesentlichen Beitrag zur Gangsicherheit und zum Gleichgewicht leisten kann. Inwieweit es durch den Stockeinsatz zu einer Aufrichtung des Rücken und einer Kräftigung der Oberarm-Schulter-Rumpf-Muskulatur kommt, kann mit den vorliegenden Daten nicht beantwortet werden. Die vergleichsweise nur leicht erhöhte physiologische Belastung beim Nordic Walking gegenüber Walking unterstützt jedoch die Vermutungen von Schiebl et al. (2003) und Höltke et al. (2005), dass auch diese Effekte erheblich überschätzt werden.

Insgesamt ist die Bewegungsmotivation durch Nordic-Walking sehr zu begrüßen. Vor einem therapeutischen Einsatz in der Hoffnung auf die propagierte Gelenkentlastung ist jedoch zu warnen. In weiterführenden Studien soll geklärt werden, welche Faktoren Einfluss auf das Schmerzempfinden bei Patienten mit Kniebeschwerden haben können.

 

Literaturverzeichnis

  • Church TS, Earnest CP, Morss GM (2002). Research Quarterly for Exercise and Sport; 73 (3), 296-300
  • Deutscher Nordic Walking/Blading Verband (2005) „Was ist Nordic Walking?“ In: www.nordicfitnessworld.info/_de/; 04.05.2005
  • Geyer (2005). Mit Stockeinsatz zum Ziel. physiopraxis, 4, 36-38
  • Höltke, V., Steuer, M., Jöns, H., Krakor, S., Steinacker, T., & Jakob, E. (2005). Walking vs. Nordic-Walking II – Belastungsparameter im Vergleich. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 56 (7/8), 243.
  • Porcari, J.P., Hendrickson, T.L., Walter, P.R., Terry, L., & Walsko, G. (1997). The physiological response to walking with and without power poles on treadmill exercise. Research Quarterly for Exercise and Sport, 68 (2), 161–166.
  • Schiebl, F., Heitkamp, H., Thoma, S., Hipp, A., & Horstmann, T. (2003). Nordic Walking und Walking im Vergleich. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 54 (7/8), 43
  • Willson, J., Torry, M.R., Decker, M.J., Kernozek, T., Steadman, J.R. (2001). Effects of walking poles on lower extremity gait mechanics. Medicine & Science in Sports & Exercise, 1, 142-147.

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